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NACHGEFRAGT wohndesigners 15 WD: Einen Loungechair zu entwerfen ist gar nicht so einfach, man ist schnell in der verstaubten „Opa“-Ecke. Ihnen ist mit 808 eine moderne, dynamische Interpretation gelungen. Was waren Ihre Leitmotive? FS: Die Aufgabe war es, einen Loungechair mit hohem Komfort zu entwickeln, eventuell verstellbar, was aber kein Muss war. Am Anfang gab es eine Reihe von Motiven und eine analytische sowie eine konzeptionelle Auseinandersetzung, wobei es darum ging, was man braucht, um den „Raum im Raum“ richtig zu definieren und die Frage „Wie spielt man mit der Hülle?“ zu klären. Im Fokus stand jedoch immer der absolute Rückzugsort. Das Schönste aber ist, dass wir es geschafft haben, unserer ursprünglichen Idee bis zum fertigen Produkt sehr klar, konsequent und kompromisslos treu zu bleiben. Und besonders stolz sind wir darauf, die komplexe Technik, die drinnen steckt, so reinzupacken, dass er trotzdem immer noch leicht aussieht. WD: Wie haben Sie 808 entwickelt? FS: Bei der Entwicklung hatten wir Motive im Kopf, die wir in Skizzen und Moodboards festgehalten haben, und das Gerüst war ziemlich bald in Originalgröße gebaut, sogar schon mit einer improvisierten Mechanik, anhand derer wir schon die Shapes ausprobieren und überprüfen konnten. Je weiter man sich darin vertieft, desto mehr versteht man eine Form, aus der sich dann ableitet, was man tatsächlich braucht. Ein großes Thema war beispielsweise, dass man in diesem Stuhl verschiedene Haltungen einnehmen können sollte: Nicht nur normal drinnen sitzen, sondern sich auch bewegen können. Und genau das kann man an einem 1:1-Modell sehr gut überprüfen. Insofern ist das Modell unabdinglich, um überhaupt gut voran zu kommen. WD: Wie geht man denn um, wenn ein so geschichtsträchtiges Unternehmen wie Thonet einen mit etwas beauftragt, was ohnehin ein schwieriges Thema ist? FS: Wenn man die Ehre hat, für Thonet etwas zu kreieren, steht einem natürlich ein gewisses Erbe im Rücken, wobei es sich hier um viele Klassiker handelt. Aber die waren ja selbst nicht von Anfang an Klassiker. Es zeigt eine gewisse Haltung, wenn man Neues schafft beziehungsweise neue Formen und Produktionsweisen zulässt. Insofern wussten wir, dass wir etwas sehr Mutiges, vielleicht auch etwas Eigenartiges präsentieren. Umso mehr freut es uns, dass unsere Auftraggeber begeistert waren. Was die Tradition betrifft, muss man einräumen, dass die Form Eingespielt. Claudia Kleine und Jörg Kürschner entwickeln stets ein sehr starkes Bewusstsein und Verständnis für das, was der andere tut. © Tobias Kreissel ungewöhnlich ist, sie setzt aber in jedem Fall ein Zeichen. Aber die Verbindung zur Tradition ist gegeben, etwa durch die Variante mit dem Gestell aus Bugholz. WD: Bei Thonet kommt ja auch Stahlrohr ins Spiel. Wie sind Sie diesem Material-Klassiker begegnet? FS: Wir haben schon viel mit Stahlrohr gearbeitet. Aber das kennt man ja schon. Das Neue und wirklich Überraschende liegt im Inneren des Stuhls, denn es ist uns gelungen, verschiedene Herstellungsweisen zusammen zu komponieren. Es gibt zum Beispiel Kunststoffinnenkörper, produziert im Rotationsgussverfahren, mit verschiedenen Layern und technischen Kniffen. Dadurch schaffen wir es, handwerkliche Arbeit so gut vorzubereiten, dass alles in Europa produziert werden kann. Es hat auch sehr viel Spaß gemacht, so etwas mit einem großen Team zu entwickeln, weil das ein ganz anderes Level von Produktdesign ist. Das Raffinierte, das Aufwändigere liegt hier sicher im Verborgenen und war bestimmt spannender als Stahlrohr zu biegen. WD: Bei Ihren Arbeiten stößt man auf Farben und Formen, die Sicherheit und Geborgenheit ausstrahlen. Kann man die ersehnten, vor der bösen Welt rettenden Oasen erschaffen? TD: Formal und vom Farbkonzept steckt eine klare Absicht hinter dem Produkt: Wir wollen möglichst viel Kontemplation und Entgrenzung. Von den Materialanwendungen haben wir einen sehr hohen Individualisierungsgrad. Es gibt einige Kombinationen, die eine Großzügigkeit erreichen sollen. Dafür haben wir fünf Farbwelten und eine Grautonpalette geschaffen. In Landschaftsdarstellungen sind die Farben im Vordergrund kräftiger, werden nach hinten immer heller und verlieren sich. So entsteht in einem zweidimensionalen Bild dreidimensionale Tiefe. Wendet man diese Technik bei Möbeln an, entsteht auch im kleinen Raum mehr Weite. Auf diese Art kann man Landschaften bilden, und damit schließt sich der Kreis des Konzepts. WD: Wie oft sind Sie in 808 Probe gesessen? FS: Es gab mehrere Stufen im Entwurfsprozess, und wir sind sicher mehr als 100 Mal drinnen gesessen. Aber nicht nur wir, sondern die unterschiedlichsten Personen haben sich reingesetzt - von den Kleinsten bis zu den Größten. Auch dazu braucht man das 1:1-Modell, denn das Feedback ist ganz, ganz wichtig. Das entsteht einfach nicht am Reißbrett. www.formstelle.de | www.thonet.de


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