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WOHNDESIGNERS 1_2013

VISION Arbeitswelt in fünf Akten Mit der Ausstellung „Project: Offices for Living“ versuchte Architekt Jean Nouvel Antworten auf ein brisantes Thema zu finden, das in Zukunft immer relevanter werden wird. Wir verbringen viel mehr Zeit an unserem Arbeits-platz als zuhause beim Essen oder Schlafen. Büros werden daher zum Lebensraum, der unter dem Aspekt gesehen werden soll, bei dem nicht nur die immer gleichen Akteure ihre funktionale und effek- 1. 2. Er geht nicht unbedingt sanft ins Gericht mit der zeitgenössischen gestalte-rischen Auslegung von Büros. Jean Nouvel, selbst einer der renommiertes-ten Architekten der Gegenwart, bringt zum Ausdruck, dass er das, was man heute unter „Büro“ versteht und als solches realisiert, als Fehlentwicklung betrachtet. Seine Vision eines gelungenen Arbeitsplatzes ist es, Mobilität, Lebendigkeit, Freude und Genuss sowohl innerhalb als auch außerhalb der Gebäudehülle erkennen zu können. In Zukunft würden die Menschen noch viel mehr zuhause arbeiten oder an Orten unterschiedlichen Typs, die als Büros genutzt werden, obwohl sie vorher etwas ganz Anderes waren. „Der Job des Architekten ist es, die technischen, kulturellen und sozialen Verän-derungen unseres Zeitalters zu interpretieren und sie zugunsten der Freiheit auf eine poetische Art umzusetzen“, sagt Jean Nouvel. Arbeiten als integraler Bestandteil des Lebens Im Rahmen des diesjährigen SaloneUfficio konnte man sich in der Ausstel-lung „Project: Office for Living“ ein reales Bild dieser Vision machen. In fünf verschiedenen Szenarien - ein klassisches und ein modernes Apart-ment, zwei Open Space- beziehungsweise Free Form-Varianten und eine Lagerhalle, die unter anderem mit neuen Produkten und teilweise auch Prototypen von Ron Arad, Michele De Lucchi, Marc Newson und Philippe Starck bespielt wurden - veranschaulichte Nouvel eine intelligente Verwe-bung zwischen Leben, Wohnen und Arbeiten und zeigte damit, dass es im Grunde ganz gleich ist, wo sich das Büro befindet, solange es identifizierbar und veränderbar ist und in menschlichem Maßstab integriert wird. Individualität statt Repetition Jean Nouvel will damit ein Umdenken in Gang setzen. „Der Fokus der Ausstellung war es, jene Menschen aufzurütteln, die zwar in Büros arbeiten, jedoch dort gar nicht arbeiten müssten, und die sich nicht bewusst sind, dass das Arbeiten in bestimmten Räumen, die gar keine Büroräume sind, freudvoll sein kann. Oder dass die Möbel und Materialien, die sie umgeben, nicht immer zwingend dieselben sein müssen“, unterstreicht Nouvel. „Die Ausstellung handelte aber auch von Menschen, die zuhause arbeiten, inmit-ten einer Menge Büromaterial, das sie unbedingt für ihre Arbeit brauchen, welches sich dann innerhalb des bewohnten Raumes in einer Art Beziehung befindet - im Kontrast oder in Harmonie.“ Sich wiederfinden Umgesetzt werden können diese Ideen mit flexiblen Wänden, Schiebeele-menten, modularer Einrichtung, aber auch indem man den ursprünglichen Kontext so belässt und den Arbeitsbereich darin integriert. So blieben bei-spielsweise im klassischen Apartment der offene Kamin, das Bad, die Böden und die Küche bestehen. Der warme, originale Raumcharakter lässt eine Arbeitsumgebung entstehen, in der sich der Einzelne wiederfindet. Oder im Free Form Office, wo sich man mit Modulen ganz personalisiert einrichten kann. Aber welche Variante man auch wählt: Das Individuum ist und bleibt der springende Punkt. www.jeannouvel.fr WOHNDESIGNERS I 01 Szenen eines Büros. Auf dem SaloneUfficio 2013 präsentierte Jean Nouvel fünf verschiedene Szenarien zukünftiger Arbeitswelten. © Cosmit | Saverio Lombardi Vallauri, Studio Jean Nouvel (Portrait) Jean Nouvel (*1945) ist Absolvent der École des Beaux-Arts de Bordeaux. Seinen berufli-chen Durchbruch schaffte er mit dem Institut du Monde Arabe in Paris. Seit 2008 Pritzker- Preis-Träger, setzt er sich immer wieder mit Möbeldesign auseinander, unter anderem für Wittmann (Serie Vienna), für Molteni (Serie Skin) und für Emu (Serie Mia). A tive Rolle spielen, sondern in dem sich auch Indi-viduen aufhalten. Individuen, die arbeiten müssen, würden viel besser arbeiten, wenn sie sich wohlfühl-ten, umgeben von Menschen, die den gleichen Le-bensstil haben, auch wenn sie nicht identisch sind. Es ist offensichtlich, dass Büros nicht immer be-spielt werden, und es zeigt sich, dass mehrere Dinge gleichzeitig darin stattfinden können. Sie beweisen dann, dass sie gute Orte für das Arbeiten sind, weil sie freie Räume sind - Räume für Bewegung, Räume für Wachstum. In dreißig oder vierzig Jahren wer-den wir darüber erstaunt sein, wie „unlebbar“ die meisten der heutigen Büros wirklich sind. Groteske Klone, Standardisierung, Totalitarismus, und nicht der leiseste Hauch eines angenehmen Gefühls, sich darin aufhalten zu wollen. Jean Nouvel


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