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Weniger Funktion, mehr Stimmung

„Living by moods“ wird das Motto von „Das Haus“ auf der imm cologne im Jänner 2019 sein. Die von den Australiern Joel und Kate Booey ersonnenen Wohnräume sind weniger nach ihren Funktionen als nach den „Stimmungen“ ihrer Bewohner – zwischen aktiv und zurückgezogen – gegliedert.
Von Harald Sager

 

„Das Haus“, die Simulation eines Wohnhauses, hat sich in den letzten Jahren zu einem der Hotspots der imm cologne entwickelt. Denn unter diesem Format werden jedes Jahr interessante junge, international agierende Designer eingeladen, ihre eigene Interpretation dessen, was der Wohnraum von heute zu beinhalten und zu leisten hat, im Maßstab eins zu eins zu realisieren. An diesen Entwürfen lassen sich immer auch gegenwärtige Einrichtungstrends und gesellschaftliche Entwicklungen ablesen. Bisherige Teilnehmer waren unter anderem die Studios Doshi Levin und Neri&Hu, der Deutsche Sebastian Herkner, Todd Bracher aus Amerika und zuletzt die tschechische Leuchtendesignerin Lucie Koldova.

Kate und Joel Booy sind Truly Truly. © Lutz Sternstein; Koelnmesse

Im Jänner kommenden Jahres ist nun das Studio Truly Truly an der Reihe, hinter dem das aus Australien stammende, in Rotterdam lebende Ehepaar Joel und Kate Booey steht. Wir haben sie über ihre Vorstellungen über das „Haus“ befragt.

 

Welches Konzept steckt hinter Ihrem „Haus“?

Kate Booey: Generell sehen wir die Wohung als Gegenpol eines immer schneller werdenden Lebens. Daher soll unser „Haus“ ein Ort sein, an dem man Geschwindigkeit aus dem Leben nehmen und „runterschalten“ kann.
Joel Booey: Wir haben nach Formen für eine neue Art des Wohnens gesucht, das die einzelnen Zonen mehr als Freiraum denn als Festlegung versteht. Räume und Mobiliar sind multifunktional: Der große Esstisch mit wenigen Stühlen eignet sich für diverse Aktivitäten, an der Bar, wo sich die Abwasch befindet, kann man auch einen Kaffee trinken, und auch das Sofa gibt keine Sitzrichtung vor. Nur die Bereiche für Entspannung und Rückzug sind eindeutiger identifizierbar: der tief liegende Sessel, der hinter einer Pflanzenwand halb verborgene Tisch, der Schlafbereich.

 

„Wir haben das ,Haus‘ in vier Zonen gegliedert, die den Grundstimmungen ,zurückgezogen‘, ,ruhig‘, ,aktiv‘ und ,zurückgelehnt‘ entsprechen.“

 

Trotzdem ist Ihr „Haus“-Entwurf vielfältig gegliedert …

Kate: Ja, aber weniger nach Funktionen als nach „Stimmungen“. Die einzelnen Räume haben einen bestimmten „Mood“ sodass der Bewohner immer den richtigen Ort für das findet, was er gerade tun will, was seinem Gefühl und Rhythmus entspricht. Daher haben wir das „Haus“ in vier Zonen gegliedert: „Reclusive“ (zurückgezogen), „Serene“ (ruhig), „Active“ (aktiv) und „Reclining “ (zurückgelehnt), die aber nicht durch Wände voneinander getrennt sind, sondern ineinander übergehen. Genau so stellen wir uns das zeitgemäße Wohnen vor: natürlich fließend, organisch.
Joel: Wohnen, arbeiten, schlafen, loungen – das Camouflage-Muster auf den Vorhängen steht für dieses organische Wohnkonzept, in dem an jedem Platz alles möglich ist. Nichts ist festgelegt, es gibt Doppelbedeutungen, Querverweise, sinnliche Assoziationen.

 

In Truly Trulys „Haus“ gehen Räume ineinander über, wechseln sich intime Bereiche mit offenen ab und richten sich die einzelnen Zonen weniger nach ihren Funktionen als nach unserer jeweiligen Stimmung. © Truly Truly; Koelnmesse

 

Aber einen Mittelpunkt des Wohnens, eine „Seele des Hauses“, wie Alfredo Häberli es nennt, wird es doch geben, oder?

Joel: Wir gehen da ganz mit Alfredo konform: Es ist die Küche. Die Rhythmen der Menschen gestalten sich zwar immer individueller – aber die Küche bleibt Zentrum des Hauses und der Ort, an dem man zusammenkommt. In unserem „Haus“ wird es auch möglich sein, live vor Ort Speisen zuzubereiten. Die Küche ist zu einer großzügigen Aktionsfläche hin geöffnet, wo ein großer Esstisch steht, an dem nicht nur gegessen, sondern auch gearbeitet und gewerkelt werden kann. Eine mehrere Sitzebenen bildende Bank leitet in eine Ruheecke über.

 

„Die Küche bleibt Zentrum des Hauses und der Ort, an dem man zusammenkommt.“

 

Kate: Die Küche aus poliertem Edelstahl mit glänzenden Fliesen lädt duch ihre ungewohnten Formen zu neuorganisierten Arbeitsabläufen ein: Waschen, vorbereiten, kochen, servieren – all das wird separat gehandhabt. (Kühl-)Schränke verschwinden in einem Wandblock, und auch der Block der Abwasch ragt weit in den Raum hinein. Uns schwebt weniger eine Einbauküche vor als eine formal zersprengte Küche aus Materialien, die ein Verrücken unmöglich machen.

 

Die Küche, der Mittelpunkt des „Hauses“, wirkt wie ein loses, versprengtes Ensemble einzelner Blöcke, die weit in die umgebenden Bereiche des offenen Wohnkonzepts hineinragen. © Truly Truly; Koelnmesse

 

Wie sieht Ihr „Haus“ konkret aus?

Joel: Zunächst einmal setzt es sich, wie ein Stuhl von Gerrit Rietveld, aus wenigen Bestandteilen zusammen: wenige Farben und nur drei Elemente, nämlich Wand, Textil und Pflanzen. Eine Wand besteht komplett aus Pflanzen, weitere flexible, textile Wände schirmen den Relax- und Schlafbereich vom Wohn- und Aktionsbereich ab. Die Außenhaut ist in warmen Gelbtönen gehalten, dazu kommt das Grün der Pflanzen. Der eigens kreierte Vorhang mit seinem camouflageartigen Muster legt die Idee eines „fluiden“, „organischen“ Wohnens nahe.

 

„Unser ,Haus‘ setzt sich aus wenigen Farben und nur drei Elementen, nämlich Wand, Textil und Pflanzen, zusammen.“

 

Kate: Darunter verstehen wir, dass sich intime Bereiche mit offenen abwechseln und sich überall spannende Blickachsen eröffnen. Die Räume gehen ineinander über, ihre Funktion wird von den Möbeln eher angedeutet als vorgegeben. Die Haptik der Materialien und Textilien vermittelt Wärme, und auch die Farben, die sich allesamt einer warmen Palette bedienen, sind emotional motiviert. Nur das Bad und das Schlafzimmer erscheinen leicht separiert. Es gibt keinen Innenhof, keinen Garten, nur Räume, die den Besucher in ihrer Stimmung „abholen“ und ihn einladen, über die Funktionen des Wohnens nachzudenken.
Rund um die zentrale Küche wechseln sich Ruhezonen, Rückzugsbereiche und teils einsame, teils gruppierte Sitzgelegenheiten mit viel freiem Raum und Raumtrennern ab, die nur auf den ersten Blick zufällig hineingestreut wirken. Kunstobjekte und Textilien, Teppiche und Leuchten komplettieren das „Haus“ zu einem, wie wir hoffen, wohldurchdachten Gesamtkunstwerk.

 

Was Truly Truly sonst noch so macht: beispielsweise die Serie „Seismic Tables“. © Truly Truly

 

Ein interessantes, ungewöhnliches Phänomen bei „Das Haus“ ist, dass es in seinen sieben bisherigen Ausprägungen noch nie einen Bildschirm – also weder Fernseher noch Computer und Ähnliches – darin gegeben hat. Und auch in Ihrem „Haus“ werden solche Geräte außen vor bleiben. Warum?

Joel: Wir wollen das „Haus“ von Technologie komplett freihalten.

Kate: Was aber nicht heißt, dass wir technologiefeindlich sind. Selbstverständlich nutzen wir Smartphones, Tablets, Laptops usw., aber wir sehen das Zuhause als Rückzugsgebiet, als einen Ort des Runterkommens, in dem Technik nicht im Vordergrund stehen sollte.

 

Wenn Truly Truly (für Ikea) ein Sofa „dekonstruiert“, sieht das so aus. © Ikea

 


Zu Truly Truly
Das 2014 gegründete, in Rotterdam stationierte Studio Truly Truly wird von dem aus Brisbane, Australien, stammenden Ehepaar Joel und Kate Booey geleitet. Der Name ist Programm: Er soll daran erinnern, Dinge richtig, wahrhaftig, ehrlich und kunstfertig zu machen und dabei nicht den eigenen Weg aus den Augen zu verlieren. Joel und Kate Booey haben für Institutionen wie das Nationaal Glas Museum in Leerdam oder das TextielMuseum in Tilburg ebenso gearbeitet wie für namhafte Marken wie Tacchini Italia, Dexter, Ikea und den australischen Leuchtenhersteller Rakumba. Die beiden entwerfen Möbel, Leuchten, Textilien und Räume.


 

www.studiotrulytruly.com

 


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