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„Material neue Funktionen entlocken“

Möbel, aber auch Uhren und Schmuck, Leuchten und Waschbecken – der für heimische ebenso wie für internationale Auftraggeber arbeitende Design Rainer Mutsch hat einen breiten Produktfächer. Und er zieht dabei oft Materialien heran, die man nicht unbedingt mit der Verwendung assoziieren würde, die er ihnen gibt.

Von Harald Sager

Rainer Mutsch, Designer und Träger der True Stratum. © Markus Jans

wohndesigners: Sind Sie glücklich, Designer geworden zu sein und nicht Tischlermeister wie Ihr Vater – was ja auch ein kreativer Beruf ist? Vermissen Sie das rein Handwerkliche, die Arbeit am Material, oder sehen Sie das auch als Teil Ihres Berufs?
Rainer Mutsch: Mein Vater ist nicht der Standard-Tischler, sondern ein kreativer Mann mit Lust am Experimentellen, und ich denke, dass mir das in die Wiege gelegt wurde. Ich liebe Holz, wollte aber auch mit anderen Materialien wie Glas, Keramik, Beton usw. arbeiten. Das brachte mich auf die Idee, Industriedesign zu studieren. Ich schätze das Handwerkliche sehr, bin aber mehr konzeptionell begabt. Als Industriedesigner kann ich das voll zur Entfaltung bringen.

Sie arbeiten oft mit Materialien, die man nicht unbedingt mit der Verwendung assoziieren würde, die Sie ihnen geben: Zum Beispiel ist Faserzement nicht sehr bequem, aber Sie verwenden es bei Ihrem Outdoor-Sitzmöbel Dune mit seinen muldenartigen Sitzen und wellenartigen Erhebungen; es ist auch nicht sehr grazil, aber Sie setzen es bei Ihren Leuchtenmodellen Liv, Clip, Cem Light und Soft und beim Regal Sinus ein. Ihr Tisch bzw. Bücherregal Aeon ist aus Marmor, einem für diese Verwendung überaus schweren Material, die Sitzlandschaft Cliffy aus beschichtetem Schaumstoff. Der Rocking Chair und die Sitzmodule Offshore wiederum sind aus Plastik – was auf den ersten Blick auch kein sehr gemütliches Material. Was sind Ihre Absichten dabei?

Floral inspiriert: die Leuchte Orchid für Axolight. © Axolight

Das hat mit meiner Begeisterung für bestimmte Materialien und ihre Eigenschaften zu tun. Als Industriedesigner bekomme ich Einblick in die verschiedenen Produktionsprozesse und sehe, wie das Material in der jeweiligen Phase reagiert.

„Eine der Stärken unseres Studios ist, dass wir dekontextualisieren, das heißt, Materialien und Funktionen auf unvermutete Weise zusammenbringen.“



Ich sehe es als eine der Stärken unseres Studios an, dass wir dekontextualisieren, das heißt, Materialien und Funktionen auf unübliche Weise zusammenbringen bzw. dem Material neue, noch verborgene Funktionen entlocken. Faserzement zum Beispiel kann sehr wohl ergonomisch sein, wenn man es versteht, ihn richtig einzusetzen – wie das die Eternit (Schweiz) AG, der Hersteller von Dune, tut. Er kann auch leicht sein, wenn man ihn dünn verarbeitet, wie das bei den erwähnten Leuchten der Fall ist.

Lassen Sie sich bei Ihren Entwürfen in erster Linie von deren Funktion leiten? Oder von der angestrebten Ästhetik? Oder auch vom Experimentieren mit dem Material, wie zum Beispiel beim Regal Alva, bei dem die Eichenstreben die Regalplatten ohne Halterung stützen?
Ich lasse mich zum einen sehr stark vom Material selbst und vom Herstellungsprozess anregen. Zum anderen ist es meinem Team und mir immer wichtig, dass ein Produkt, das wir entwerfen, etwas enthält, das es bisher noch nicht gegeben hat, etwas, das wir noch nicht kannten.

Die Algae-Leuchten für Molto Luce wirken organisch und sind aus Aluminium. © Molto Luce



Ich meine das nicht im Sinne von modischen oder „kosmetischen“ Änderungen, sondern so, dass beispielsweise ein Fertigungsprozess optimiert wird, ein Objekt nachhaltiger funktioniert, sinnvoller einsetzbar ist oder eine neue Funktion bekommt, so etwa, wenn ich Faserzement so einsetze, als wäre es das Material für ein Polstermöbel.

„Faserzement kann sehr wohl ergonomisch sein, wenn man es versteht, ihn richtig einzusetzen.“



Ich finde, dass wir Designer eine hohe Verantwortung bei der Gestaltung der Zukunft haben. Wir bestimmen mit, wie unser Umfeld aussehen wird. Funktionelle und ästhetische Innovationen tragen viel zur allgemeinen Weiterentwicklung bei. Dazu gehört auch, nicht den alle Saisonen neu ausgerufenen Trends zu folgen und sich dem Markt anzupassen – das wäre verantwortungslos.

Sind Dune (aus Faserzement) und Cliffy (aus beschichtetem Schaumstoff) als Sitzlandschaften für den öffentlichen Raum konzipiert worden, oder gibt es auch private Käufer?
Dune ist eine ganzjährig einsetzbare Outdoor-Sitzlandschaft, die sowohl im öffentlichen als auch im privaten Raum gute Figur macht, so etwa am Swimmingpool.

Der Rocking Chair aus Plastik für Sixinch. Die Sitzlandschaft Cliffy aus beschichtetem Schaumstoff für (Sixinch) ist in etlichen Lobbies im Silicon Valley und anderswo zu finden. © Sixinch


Das Gleiche gilt für Cliffy, die ich vor ein paar Jahren auf der High End-Möbelmesse ICFF in New York präsentiert habe und die augenblicklich ein Erfolg mit Anfragen aus aller Welt wurde. Cliffy steht in etlichen Lobbies in den großen Unternehmen des Silicon Valley. – Man kann nicht immer voraussagen, wie ein bestimmter Entwurf angenommen wird, wie er sich entwickelt.

Die aus Esstisch, Regalen und Sideboard bestehende Aeon-Kollektion für den Steinverarbeiter Breitwieser aus Calacatta-Marmor. © Detailsinn

Dune war ein Meilenstein für Ihr Atelier …
Ja, dieser Entwurf hat beispielhaft auf den Punkt gebracht, wie wir arbeiten wollen. Wir haben in allen Phasen – vom Fertigungsprozess über die Ergonomie bis hin zur Markteinführung – an seiner Entstehung mitgewirkt. Von der Idee bis zur Umsetzung haben wir zweieinhalb Jahre daran gearbeitet. Hersteller, die sich für unser Atelier interessieren, können an Dune gut ablesen, wie wir arbeiten und was wir können.

Sie designen Möbelstücke, aber auch Uhren, Schmuck, Leuchten, Waschbecken – Bereiche, in denen normalerweise Spezialisten arbeiten, die sich ausschließlich damit beschäftigen. Wie funktioniert das?
Designateliers wie unseres werden von der Industrie genau beobachtet. Die Hersteller schauen und fragen sich: Wie gehen die mit Holz um, wie mit Beton, mit Glas usw. Beim Uhrenhersteller Rado zum Beispiel wird man sich gedacht haben: Was fällt Rainer Mutsch zu unserem Signature-Werkstoff, der kratzfesten technischen Keramik, ein? Unsere Auftragggeber stellen dann oft fest, dass wir neue Wege gehen und das Ergebnis anders ist, als man das vom jeweiligen Material her erwartet hätte. Denn wir lassen das Wissen und die Erkenntnis, die wir uns in einem Bereich angeeignet haben, gerne auch in andere einfließen.

Mulden- und wellenartige Sitzlandschaften aus dünnem Faserzement: Dune (für die Eternit (Schweiz) AG) war und ist ein Welterfolg im privaten und öffentlichen Raum. © Rainer Mutsch


Was fehlt, sind Polstermöbel. Kommen die noch?
Dass Polstermöbel noch fehlen, hat mit meiner Herkunft zu tun. Als Sohn eines Tischlermeisters weiß ich viel über Holz und Polstermöbel, und gerade deshalb wollte ich mir zunächst die Themen schnappen, bei denen ich mich weniger gut auskannte. Aber das wird sich jetzt ändern: Im Augenblick arbeiten wir an unserer ersten Polstermöbel-Kollektion für den Outdoor-Bereich.

Wie lange dauert es normalerweise vom ersten Entwurf bis zum fertigen Produkt, das in Serie gehen kann?
Das kommt ganz auf den Grad an Komplexität an, mit dem wir es zu tun haben. An Dune haben wir, wie erwähnt, zweieinhalb Jahr gearbeitet. Ansonsten orientieren wir uns an den jährlichen Fixpunkten der Branche, von einer Mailänder Modemesse zur nächsten bzw. von der Euroluce zur Light + Building.

Die Ana-Waschbeckenserie für Wonda. © Kramar Kollektiv Fischka

Welche sind Ihre bekanntesten Produkte?
Die True Stratum für Rado hat dank ihrer minimalistischen Formensprache in der internationalen Uhrenwelt für Aufsehen gesorgt. Die Sitzlandschaften Dune und Cliffy sind in vielen Unternehmenslobbies weltweit zu sehen. Und die Leuchte Orchid für Axolight hat uns ein unglaubliches mediales Echo und etliche Preise eingebracht.

Testen Sie Ihre Prototypen bei sich im Studio, ehe sie in Produktion gehen?
Wenn ich als Kind durch die Werkstatt meines Vaters ging, standen da überall riesenhafte Möbeltürme und halbfertige Möbelstücke herum. Das empfand ich schon damals als inspirierend. Und jetzt ist es in unserem Studio genauso. Alles ist mit Mock-ups, Prototypen und Papiermodellen voll.

„Es kommt vor, dass ich fünfzigmal am Tag an einem Lounge Chair-Prototypen vorbeigehe, und nach drei Wochen komme ich plötzlich drauf: Der ist 2 Millimeter zu hoch!“



Ich finde das sehr wichtig: Es dauert eine Weile, bis man einen Bezug zu einem neuen Produkt aufbaut. Es muss die menschliche Komponente hineinkommen, und das geht nur im Maßstab eins zu eins. Dann erkennt man, wie der Prototyp mit dem Raum interagiert und was passt und was nicht. Da kann es vorkommen, dass ich fünfzigmal am Tag an einem Lounge Chair vorbeigehe, und nach drei Wochen komme ich plötzlich drauf: Der ist 2 Millimeter zu hoch!

Minimalistische Formensprache mit Sogwirkung: die True Stratum von Rado. © Rado

Woran arbeiten Sie gerade?
An mehreren Projekten gleichzeitig: an einem Sofasystem, einer Badewanne für den Wiener Hersteller Wonda und einer Uhr für eine österreichische Marke, deren Namen ich noch nicht nennen kann. Weiters wird Alva zu einer Kollektion ausgebaut, zunächst einmal mit einem Tisch großen und kleinen Formats. Ich sehe, dass das Prinzip von Alva – Holz, das die Platte aus seiner Spannung heraus und ohne Halterung trägt – Potenzial hat. Die Eiche hat zwar weniger gute Torsions-Eigenschaften als die Buche, die üblicherweise dafür herangezogen wird. Aber ich mag den Werkstoff, und daher haben wir unsere Versuche in diese Richtung weitergeführt. Und siehe da, es funktioniert!

Sie arbeiten neben Ihren internationalen Kunden auch relativ viel mit heimischen Herstellern zusammen, so etwa mit Wonda (Waschbecken), Viteo (Gartenmöbel), Breitwieser (Steinmetz), Molto Luce (Leuchten), Austroflamm (Kamine) und dem Juwelier A.E. Köchert …
Ja, das liegt zum einen daran, dass wir in Österreich sehr viele gute Firmen haben. Ich schätze nicht nur deren Präzision und handwerkliche Qualität, sondern auch ihre nachhaltige Produktionsweise: Diese Firmen nutzen großteils heimisches Material und halten die Wertschöpfungskette im Land. Für mich ergibt sich zudem der Vorteil, dass es praktischer ist, meinen Prototypen einzupacken und damit zu einem österreichischen Kunden zu fahren, als wenn der irgendwo auf der Welt sitzt.

rainermutsch.com
www.instagram.com/rainermutsch/
www.youtube.com/user/RAL9011

Zu Rainer Mutsch
Der aus Donnerskirchen stammende Rainer Mutsch, Jahrgang 1977, absolvierte die HTL für Innenarchitektur und Möbeldesign in Mödling und studierte Möbeldesign an der Denmarks Design Skole in Kopenhagen, Produktdesign an der Kunsthochschule Berlin und Industriedesign bei Paolo Piva an der Universität für Angewandte Kundt in Wien. Er war Designer bei Werner Aisslinger in Berlin, ehe er sich im Jahr 2008 mit seinem eigenen Studio in Wien selbständig machte. Rainer Mutsch arbeitet für internationale Hersteller wie die Eternit (Schweiz) AG, Axolight, Sixinch oder Rado ebenso wie für heimische wie Molto Luce, Wonda, Viteo, Breitwieser, Molto Luce oder Austroflamm. Für seine Arbeiten hat er bereits mehr als 20 Designpreise bekommen.

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